Jambo-Mambo! Mit diesen Worten wurde ich in meinem neuen Zuhause für die kommenden Wochen begrüßt.
Nungwi ist ein Fischerdorf, das sich am Nordzipfel von Unguja, der größeren Insel Sansibars, befindet. Die Kontraste hier könnten größer nicht sein: paradiesische Strände vor den Toren luxuriöser Hotelanlagen auf der einen Seite und direkt hinter den Mauern Müllberge so weit das Auge reicht. Leichtbekleidete Touristen, die sich an den Stränden tummeln im Kontrast zu verschleierten Frauen im Dorf; denn Sansibars Bevölkerung ist zu 99 % muslimisch.
Wer keine Lust auf das allabendliche Unterhaltungsprogramm der Hotels hat, kann einen gemütlichen Abend am Lagerfeuer oder bei Livemusik in Gerry`s Bar verbringen. Statt im Fittnessraum der Unterkunft zu schwitzen kann man hier direkt am Strand (vorausgesetzt es ist Ebbe) mit den Einheimischen Fußball spielen oder andere akrobatische Kunststücke ausprobieren. Dem atemberaubenden Sonnenuntergang, den man bei einem überteuerten Sunsetcruise (organisiert von den zahlreichen Beachboys) bestaunen kann, folgt meistens ein sternenklarer Himmel, wie er schöner nicht sein könnte. Wer jedoch meint, eine romantische Nacht mit Sternschnuppenschauen verbringen zu können, hat sich bitter getäuscht; denn kaum ist der Feuerball hinter dem Horizont verschwunden, kommen auch schon die ersten angriffslustigen Moskitos, die einem die ein oder andere schlaflose Nacht bescheren können.
Nicht zu übersehen an den Stränden Sansibars sind die Massai, die vermutlich berühmtesten Stammeskrieger Afrikas. Diese ziehen in ihren bunten Gewändern mit ihren Kühen vorbei, bequatschen (wirklich) jeden "Mzungu" (die Weißen mit viel Geld), versuchen handgemachte Souvenirs an diese zu verkaufen oder sind auf der Suche nach einer passenden Frau. Der junge Mann unten im Bild bot sage und schreibe 15 Kühe für mich (ich weiß allerdings bis heute nicht, wie viel das umgerechnet in Euro sind)... Etwas verstörend ist auch, wenn diese Stammeskrieger, die ihren eigenen Erzählungen zufolge schon mit lediglich einem Messer einen Löwen bezwungen haben, plötzlich das neueste iPhone aus der Tasche ziehen, um für weiteren Kontakt die Nummer abzuchecken.
Is this really Africa?!
Unser Freiwilligenhaus am Fischmarkt Nungwis, in welchem außer mir noch 15 andere Volontäre in 14 Betten schliefen (richtig gelesen, nicht jeder hatte ein eigenes Bett), hatte vier Schlafzimmer mit en suite Badezimmer, ein Wohnzimmer, eine Küche und keine Fensterscheiben. Dafür lag man gewiss nachts wach, wenn mal wieder eine Ziege hinterm Haus meckerte oder sich jemand lauthals nach einer feuchtfröhlichen Full Moon Party erbrach und konnte jeden Morgen um gefühlt 4 Uhr dem Gesang des Muezzins lauschen. In unserer Nasszelle, in der auch Krebs Willi hauste, konnte man mächtig Zeit sparen: hier lautete das Motto 3-in-1. Duschen, Zähneputzen und sogar der Toilettengang - hurra westliche Toiletten (das war wohl eine meiner größten Sorgen) - war zur selben Zeit möglich. Und wach war man anschließend auch, denn es gab nur kaltes Wasser - sehr kaltes! Allerdings musste stets im Hinterkopf behalten werden, dass es auf Sansibar Dienstag und Donnerstag (und ziemlich oft auch an den Tagen dazwischen) für einige Stunden keinen Strom gab. Hatte man dann vergessen die Wasserpumpe vorher anzuschalten um den Tank zu füllen, musste man leider ohne Dusche ins Bett.
Das war in meinem Falle insbesondere deshalb problematisch, weil eines Abends ein auf einer Palme sitzender Vogel seinen Darminhalt von gefühlt einer Woche auf meinem Haupt entleerte, ganz zur Belustigung unseres Wachmanns Massai Moses. Doch Not macht ja bekanntlich erfinderisch - es leben die Feuchttücher!
Im Allgemeinen war unsere Anwesenheit nicht von allen geschätzt; im Dorf wurden wir in den ersten Tagen von Einheimischen mit Müll und sogar mit Steinen beworfen und unsere liebe Claudia hatte gar mit einer wildgewordenen Kuh zu kämpfen, die sie bis zu unserem Hochsicherheitstrakt (hier ersetzten Glasscherben den Stacheldraht) verfolgte, wo sie lauthalts um Hilfe schrie und an die Tür hämmerte.
Doch besonders unsere Big Mama, in deren Reisküche wir nach ein paar Besuchen bereits wie Stammgäste behandelt wurden, und Rahma, unsere Haushälterin, Köchin und gute Seele, hatten uns ins Herz geschlossen. Und wir sie!
Zum Frühstück bereitete Rahma - die als Frau Nummer 2 (ja, hier dürfen Männer mehrere Frauen haben) nur ab und zu ihren ehelichen Pflichten nachkommen musste - meistens Obst und unsere heißgeliebten Mandazi für uns zu, deren Geheimrezept sie uns in einer persönlichen Backstunde verriet. Hände und Füße mussten hierbei für Kommunikationszwecke ausreichen, da Rahma nur Swahili sprach. Zum Abendessen gab es entweder Reis mit Gemüse, Kochbananen, Reis mit Reis oder - Hipp Hipp Hurra - Pommes. Auch der heißbegehrte mehr oder weniger gesunde Smoothie, bestehend aus Avocado, Mango, Passionsfrucht, Wasser und (gaaanz viel) Rohrzucker durfte nicht fehlen.
Etwas Eigenartiges trug sich zu, als ich meine Kleidung nach dem Trocknen (Handwäsche wohlgemerkt!) wieder abhängen wollte: jemand hatte meine Unterwäsche gestohlen! Ich hatte ja mit allem gerechnet, aber anstatt meines Handys, meiner Spiegelreflexkamera oder meines Geldbeutels wurden mir tatsächlich "nur" Unterhosen geklaut. Was mit denen wohl passiert ist? Man weiß es nicht... Man munkelt...
Auch gesundheitlich blieb ich nicht verschont: gequält von schrecklichen Bauchschmerzen, Erbrechen und der Sorge, einem Parasiten Einzug in meinen Körper gewährt zu haben, wurde ich schließlich (Rahmas Plastikflasche mit Teewasser aka Wärmflasche versprach leider keine Besserung) zu einem Arztbesuch überredet. Zu meinem Glück handelte es sich um die private Klinik eines ägyptischen Arztes, sodass ich mich relativ gut aufgehoben fühlte. Bewaffnet mit einem Zipbeutel mit Stuhlprobeninhalt erreichte ich das Krankenhaus, bei dessen Anblick ich kurz verwirrt dachte, fälschlicherweise in ein 5-Sterne Hotel gebracht worden zu sein, und durfte mir eines der drei Betten aussuchen. Eine Infusion, zwei Packungen Tabletten und drei Stunden Schlaf später wurde ich wieder in Nungwi ausgesetzt und musste mir bei völliger Dunkelheit und mit leerem Handyakku den Heimweg zum Freiwilligenhaus suchen.
Orientierungssinn - Check!
Der eigentliche Grund, weshalb ich nach Sansibar reiste, war die Arbeit an einer Schule. Im Vergleich zur staatlichen Schule war Umoja mit allem Nötigen, wie Tische, Stühle und Tafeln ausgestattet. Der Unterricht für die Kinder vom Kindergartenalter bis zur 6. Klasse fand auf Englisch statt und war unterteilt in die Fächer Lesen und Schreiben, Mathe, Englisch, Erdkunde, Sport, Gemeinschaftskunde und Kunst. Die Großzügigkeit, die bereits die Kleinsten an den Tag legten, erstaunte und berührte uns zutiefst: hatte ein Mitschüler mal seinen Pausensnack zu Hause vergessen, so wurde er ohne darum zu bitten von seinen Kameraden versorgt. Auch der unersättliche Wissensdurst dieser Kinder wäre bei uns unvorstellbar. Fragte man sie, welches ihr Lieblingsfach war, so lautete die Antwort stets: "I like all of them".
Die meisten Lehrer hatten eigentlich völlig andere Berufe gelernt. Wozu in Deutschland mehrere Jahre Studium und Referendariat nötig sind, reichen auf Sansibar scheinbar zwei Wochen Kompaktkurs aus. Nichtsdestotrotz waren wir Freiwilligen nicht dazu da, den Lehrern ihre Stellen streitig zu machen, sondern vielmehr um sie im Unterricht zu unterstützen und ihnen Tipps zu geben, wie sie diesen noch effizienter gestalten könnten.
Eines Tages mussten wir entsetzt feststellen, dass insbesondere der Schulleiter nicht viel von sanften Erziehungsmaßnahmen hielt. Schläge oder auch das Knien auf Steinen schienen ihm die fruchtbarere Methode zu sein. Das konnten wir nicht akzeptieren und so suchten wir umgehend den Kontakt zur verantwortlichen Organisation, welche das Schuloberhaupt dann nach weiteren Eskapaden und einigem hin und her entließ.
Ein besonderer Dank geht an dieser Stelle auch an meinen guten Freund Thilo, dessen medizinischen Rat wir aufgrund eines potentiellen Kreuz- oder Innenbandrisses einholten. Per WhatsApp Call und Fotos schafften wir es gemeinsam, eine provisorische Schiene aus Stöcken und Mullbinden zu basteln, die das Bein des betroffenen Schülers zumindest vorübergehend stabilisieren konnte.
Jeden Freitag war für die Schüler von Umoja Beachday. Das bedeutete, dass die - eigentlich vollverschleierten - Kinder lediglich mit einem Badehöschen bekleidet am Strand spielen und plantschen durften. Viele Urlauber, die sich ebenfalls dort aufhielten, nahmen dies zum Anlass, den perfekten Urlaubsschnappschuss von sich und einem afrikanischen Kind zu machen. Ob diese fotografiert werden wollten oder nicht, war ihnen dabei ziemlich egal. Sie hatten ja schließlich einen Pauschalurlaub gebucht, da musste sowas schon drin sein! Andere wiederum kamen mit tütenweise Geschenke in die Schulen um zu demonstrieren, wie großzügig und weltoffen sie doch waren und natürlich um die perfekte Instagram Story ihrer Wohltaten zu posten - #helpingthepoor.
Den letzten Schultag, der für "Teacher Alice", "Teacher Natascha" und mich ("Teacher Miri") auch gleichzeitig Abschied nehmen bedeutete, ließen wir mit einer kleinen Party ausklingen. Luftballons, Seifenblasen und Hits wie "Heeeey Macarena" sorgten für ausgelassene Stimmung.
Vielleicht bin ich mit anderen Erwartungen an meine Arbeit und deren Wirkung nach Sansibar gereist. Vielleicht habe ich aber auch mehr von den Kids gelernt, als sie von mir.
Als Abschluss noch die Top 3 Zitate über die Motivation anderer Freiwilliger:
1. "Ich kann heute nicht zur Schule gehen weil ich krank bin. Ich lege mich lieber an den Strand um braun zu werden."
2. "Ich bin eigentlich nur hier, weil Pauschalurlaub noch teurer wäre."
3. "Eigentlich mag ich gar keine Kinder."
Ganz ehrlich Mädels, dazu fehlen mir einfach nur die Worte...
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